Stephanie Stein: Untitled (substitute)

30. April – 11. Juni 2016

Eröffnung:
30. April, 11:00 – 21:00 Uhr
01. Mai, 11:00 – 17:00 Uhr
im Rahmen des Rundgangs der Spinnerei Galerien

GEOMETRIEN DER UNBESTIMMTHEIT
1. Die Arbeit einer Künstlerin zu verstehen, bedeutet ihre Logik nachzuvollziehen.
2. Nie geht es um Geschmack oder Vorlieben.
3. Es ist klar, dass Kunst eine Durchlöcherung der Geschmacksästhetik impliziert.
4. Sie generiert die Grammatik einer den unbestimmten Wirklichkeitsanteilen
zugewandten Passion.
5. Wie in jedem Denken, geht es auch in der Kunst darum, seine Leidenschaften zu
präzisieren.
6. Ich glaube, dass Stephanie Steins Arbeiten solche Präzisierungen sind.
7. Zweifellos versuchen sie den Raum der Unbestimmtheit zu öffnen und dieser Öffnung
eine Form zu geben, was soviel heißt, wie das Inkommensurable kommensurabel zu
machen oder das Indefinite zu definieren.
8. Steins Arbeiten bewegen sich auf der dünnen Bruchlinie zwischen Bestimmtheit und
Unbestimmtheit.
9. Sie indizieren den Inkonsistenzcharakter von Realität.
10. Realität ist ein Konsistenzversprechen das gebrochen wird.
11. Ich nenne Realität alles, dem wir eine gewisse Konsistenz unterstellen.
12. Eine gewisse Konsistenz heißt, eine gewisse Beständigkeit.
13. Realität ist ein Synonym für den Tatsachenraum, den Lacan symbolische Ordnung
nennt.
14. Das ist der von Imaginärem durchzogene Raum der Sprache, des Logos, des Sinns.
15. Als Tatsachenraum bezeichne ich das Universum der diskursiven Fakten und etablierten
Konsistenzen. Aller Dinge also, von denen man getrost sagen kann, dass sie existieren.
16. Der Tatsachenraum ist der Raum der existierenden Dinge.
17. Sie können Gegenstände wie ein Stuhl oder ein Computer sein, sie können aber auch
Ideen, Meinungen, Hoffnungen und Vermutungen darstellen.
18. Auch nicht-stoffliche Dinge sind Tatsachen, die im Tatsachenraum als existierend an
getroffen werden und in ihm als Erinnerungen, Gewissheiten, Träume oder Fantasien
zirkulieren und derart konstitutiv sind für unsere Realität.
19. Realität ist der von Dingen unterschiedlichster Art bevölkerte Tatsachenraum, der
faktischen Kodifizierungen unterliegt. Mögen diese Kodifizierungen auch kontingent
sein, sie existieren im Modus ontologischer Effizienz.
20. Zur Kunst gehört, wie zum Schreiben, ein Moment von Kopflosigkeit oder Blindheit:
“man schreibt nicht mit dem Kopf ”, sagt Heiner Müller.
21. Eher geht es darum, der Dynamik der Schreibbewegung zu folgen, als eine Argumenta
tion zu entwickeln.
22. Kunst ist das Wagnis, sich einer Bewegung zu überlassen, die das Subjekt dem Nicht-
Sinn öffnet.
23. Statt “zu reagieren oder zu beschreiben”, geht es darum, “andere Wirklichkeiten zu
entwerfen”, wie Müller schreibt.
24. Wirklichkeiten, die weder bewiesen noch überprüft werden können.
25. Schreiben heißt, sich von der Wirklichkeit zu emanzipieren, indem man das Bild, das sie
von sich ausgibt, zerstört.
26. Nichts anderes tut die Kunst.
27. Es geht darum, sich mit künstlerischer Bestimmtheit dem Unbestimmten zu nähern.
28. Stephanie Steins Arbeiten sperren sich einfachen Harmonie- und
Komplementaritätsvorstellungen, z.B. indem sie ein drittes oder viertes Element – eine
Ecke zuviel – integrieren, einen Überschuß, der ihre Geometrie ins Wanken bringt.
29. Ich denke, es handelt sich um Geometrien der Unbestimmtheit.
30. Sie zeigen auf den a-logischen Punkt unserer Realität.
31. Sie tun es mit großer Präzision.