Maya Schweizer, Sebastian Jung: En Route

08. Januar – 19. Februar 2022

Jenseits des Subjektiven fängt es an, kompliziert zu werden.

Sebastian Jung geht auf die Straße und setzt sich dort einem unkalkulierbaren Risiko aus. Dem Risiko, anderen Menschen zu begegnen. Er zeichnet vor Ort, beobachtet und begibt sich mit Vorliebe in Situationen, in denen deutlich spürbar und sichtbar ist, dass es Differenzen gibt zur eigenen Lebensrealität. Auf der Querdenker-Demo und im Einkaufszentrum entstehen Skizzen und Porträts mit schnelle Strichen. Sebastian Jungs Blick ist vorurteilsfrei und auf der Suche nach prototypischen Szenen und Figuren. Die Zeichnungen auf DinA5 dokumentieren eher, als dass sie etwas aufdecken oder dramatisieren wollen. Aber es liegt auch Spannung in der Luft. In einer zweiten Werkreihe sind Menschen in kräftigen Farben gemalt, fast alle tragen eine Maske, keine der Figuren strahlt Heiterkeit aus. Die Aufgewühltheit der Welt nach fast zwei Jahren Pandemie ist mit Händen zu greifen. In diesen Porträts und der Auseinandersetzung mit den Fremden auf der Straße gibt Jung der Ambivalenz Raum, die uns alle betrifft, wenn zwischen Innen und Außen Welten liegen.

Maya Schweizer stickt in losen Stichen assoziative Geschichten und Textfragmente in den Stoff. Sprache ist ein Medium der Verständigung und erreicht doch niemals objektive Gültigkeit. Die Worte wecken Erinnerungen und lösen Emotionen aus, in Maya Schweizers textilen Assemblagen wird eine stringente Erzählung jedoch nicht wirklich greifbar. Der Stoff fällt in ungleichmäßigen Falten, die Buchstaben tanzen aus der Reihe und die Fäden ziehen sich nicht fest. „N’importe quelle petite chose fait une conversation“ (Jede Kleinigkeit erzeugt eine Konversation). Der Wechsel der Sprachen erschwert die Bedingungen zusätzlich.

Wozu also schreiben und sprechen, wenn wir einander vielleicht nicht verstehen? Warum dann nicht stattdessen annehmen, dass alles stimmt was gesagt wird oder nichts? Oder beides tun: vielfältige Verknüpfungen und den Zweifell selbst in Worte fassen. „Entweder ein Stimmengewirr oder garnichts“ lautet ein Satz auf dem Wandbehang. Maya Schweizer gibt keiner einzelnen Stimme und Aussage Vorrang. Die Vielschichtigkeit von menschlicher Verständigung wird uns vorgeführt als fragil, ambivalent und immer auch prozesshaft.

Maya Schweizer und Sebastian Jung wählen beide den subjektiven Blick als Ausgangspunkt ihrer künstlerischen Arbeiten. Von dort aus richtet sich ihr Interesse auf die Mechanismen gesellschaftlicher Interaktion. En Route – unterwegs und in Bewegung zu sein ermöglicht es, die Welt jenseits des Subjektiven in ihrer Ambivalenz und Plastizität zu erfahren.

[Arne Linde, 2022]